Volksbefragung: Wien will es wissen 2010 – Eine Marketingaktion
Dieser Tage bekommen die Wienerinnen und Wiener ein A4 Kuvert der Stadt Wien per Post zugestellt. Inhalt: Ein amtlicher, persönlicher Stimmzettel für eine Volksbefragung. Wien will es wissen 2010. Aber was? Ein wesentliches Qualitätskriterium von seriösen Meinungsumfragen ist die Formulierung der Fragen in einer Art, die neutral ist und nicht Antwortalternativen von vornherein nahe legt. Die fünf – im Zuge diese Volksbefragung gestellten – Fragen, und insbesondere die Einleitungstexte für jede dieser Fragen, weisen aber deutliche Anzeichen von suggestiven Frageformulierungen auf.
Suggestivfragen werden dabei als Fragen verstanden, die den Befragten, unabhängig von der tatsächlich vorhandenen Antworttendenz, zur Bevorzugung einzelner möglicher Antwortalternativen gegenüber anderen veranlasst. Die vorgelegten Fragen sind eben nicht-neutral, sondern im Sinne des Absenders formuliert. Aus meiner Sicht liegt hier keine faire, sachliche, neutrale Volksbefragung, sondern eine Werbeaktion der politischen Entscheidungsträger in Wien vor.
Worin liegt nun der suggestive Charakter der Fragen?
Frage 1 handelt von Hausbesorgern. Fragen, die mit „Sind Sie dafür, dass..“ legen die Antwort „Ja“ nahe. Korrekt wäre die Ergänzung der Frage mit: „…oder sind Sie nicht dafür.“, um die Antwortalternative „Nein“ gleichwertig zu vermitteln.
Dies betrifft auch die Fragen 2 (Ganztagsschule), 4 (U-Bahn) und 5 (Kampfhunde). Interessanterweise ist die Frage 3 anders formuliert: „Soll in Wien eine Citymaut eingeführt werden?“ Möglicherweise ist hier die Ja-Tendenz nicht erwünscht.
Ganz klar wird der tendenziöse Charakter der Aussendung bei den Einleitungstexten: Frage 1 wird durch einen Verweis auf eine Entscheidung eingeleitet, die zu einer Zeit passierte, als der politische Opponent in der Bundesregierung war (Text: „Im Jahr 2000 wurde durch den Bundesgesetzgeber die Möglichkeit abgeschafft, Hausbesorger/innen anzustellen. Eine bundesgesetzliche Neuregelung ist seither nicht zustande gekommen“).
Weiters wird vermittelt, dass es Anstrengungen gegeben hat, Hausbesorger/innen einzustellen, diese aber auf Grund des Widerstandes anderer, erfolglos gewesen sind. Die Stadtregierung macht damit – zusätzlich zur Bewerbung ihrer Bemühungen – ihre Position klar und ist nicht mehr neutral. Dem Antwort-Gebenden wird somit indirekt die Wahl zwischen dem Standpunkt der Verantwortlichen in Wien (Zustimmung) oder Ablehnung desselben überlassen. Damit ist die Entscheidung auf ein anderes Niveau gehoben, als die pure Sachentscheidung „Hausbesorger: Ja bzw. Nein“. Darüber hinaus wird transportiert, für mehr Sicherheit und Ordnung – welche Hausbesorger mit ermöglichen – in den Wohnhäusern Wiens sorgen zu wollen. Durch die hohe Relevanz des Themas „Sicherheit“ im Wiener Wahlkampf, wurde vermutlich nicht von ungefähr diese Frage an die erste Position gereiht.
Frage 2 handelt von Ganztagsschulen. In der Einleitung erfolgt der Hinweis auf „Internationale Studien, die zeigen, dass die Ganztagsschule der entscheidende Erfolgsfaktor für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie darstellt sowie das Bildungsniveau der Bevölkerung deutlich hebt“. Der Verweis auf diese Studien fehlt. Wer möchte nicht, dass Beruf und Familie erfolgreich vereinbar und das Bildungsniveau deutlich gehoben wird? Auch hier wird die Position der Verantwortlichen von vorne herein transparent: Ganztagsschulen sind die bessere Wahl. Sachliche und wissenschaftliche Belege, oder zumindest einen Hinweis auf entsprechende Studien bleiben die Initiatoren schuldig.
In Frage 3 wird – wie bereits erwähnt – im Gegensatz zu Frage 1 und 2 offensichtlich ein „Nein“ erwartet. Im Begleittext ist von „einigen Großstädten“ die Rede, die „zur Bewältigung des innerstädtischen Verkehrs eine Einfahrtsgebühr für das Stadtzentrum eingeführt“ haben (wird hier an die Wettbewerbsmentalität der Wienerinnen appelliert? Wien ist anders?). Aber Wien hatte „in den letzten Jahren“ eine andere, erfolgreiche Lösung: „In Wien konnte durch die Verkehrspolitik (Ausbau öffentlicher Verkehr, Parkraumbewirtschaftung, Wohnsammelgaragen, Ausbau Radwegenetz) in den letzten Jahren der Autoverkehr in der Stadt deutlich reduziert werden.“ Der Text ist eine Selbstdarstellung der eigenen Aktivitäten und damit unverkennbare Werbung für die Stadtregierung. Warum – wenn nun diese Aktionen so erfolgreich sind – sollen die Wiener/innen dann über eine weitere Maßnahme abstimmen? In diesem Satz wird verschlüsselt gesagt: Wir haben eine bessere Lösung als die anderen Städte und brauchen eine Citymaut daher nicht. Dies ist damit ebenfalls keine sachliche Einleitung für eine unabhängige Befragung.
Auch Frage 4 startet mit der scheinbaren Feststellung eines Faktums („In Wien fahren täglich Nachtbusse von 0:30 bis 5:00 Uhr.“), welches sich jedoch als verdeckte Erklärung einer Leistung der Stadt Wien präsentiert. Der Hinweis auf die hohen Kosten („Ein 24-Stunden-U-Bahn-Betrieb am Wochenende (Freitag und Samstag) kostet pro Jahr 5 Millionen Euro“) und die Drohung „und bewirkt veränderte Fahrtrouten der Nachtbusse an Wochenenden“ drängt den Teilnehmer geradezu in die Richtung „Nein“.
Der Einleitungstext in Frage 5 entpuppt sich genauso als Hinweis auf Erreichtes der Stadtregierung: „Der Hundeführerschein ist eine fundierte Ausbildung…“. Tatsächlich ist hier auf den ersten Blick eine Beeinflussung in die eine oder andere Richtung nicht offensichtlich (verpflichtender Hundeführerschein). In der Wortwahl der Frage wird jedoch die raffinierte Intention des Absenders offensichtlich. „Kampfhund“ ist ein aggressiver, negativ besetzter Begriff. Unter dem Eindruck vergangener, medial präsenter, Unglücksfälle durch diese Hunde, scheint eine Zustimmung bei dieser Frage durchaus von den Machthabern in Wien gewünscht zu sein.
Die Initiatoren der Befragung scheinen somit nicht so sehr an der tatsächlichen Meinung der Bevölkerung interessiert zu sein. Vielmehr hat die Befragung offensichtlich in erster Linie die Ziele, vergangene Maßnahmen der Stadtregierung zu bewerben, die aktuellen eigenen Positionen zu vermitteln und sich – subtil – von anderen politischen Ansichten abzugrenzen.
Insgesamt finde ich es erschütternd, wie ein demokratiepolitisches Instrument in dieser Weise für die eigenen parteipolitischen Interessen zweckentfremdet und darüber hinaus die Glaubwürdigkeit der wissenschaftlichen Meinungsforschung untergraben wird. Ich werde diesen Stimmzettel aufbewahren. Als eindrucksvolles Beispiel dafür, wie man Bürger-Befragungen für Eigenwerbung missbrauchen kann und Menschen suggestiv beeinflussen möchte.
Danke! Dieses Statement von dieser Stelle ist wichtig und sollte weit verbreitet werden.
Unabhängig jeder parteipolitischen Position ist die rhetorische Gestaltung dieser „Volksbefragung“, die vor allem noch dazu mit ebenso tendenziösen Plakaten um SEHR viel Geld begleitet wird, tatsächlich erschütternd. Denn sie entlarvt die Angst der Politiker vor einer wahrhaften Kommunikation UND ihre Macht diese zu vermeiden – beides genau die Gründe, warum sich immer mehr von der Politik abwenden.
Die „Befragung“ leistet damit einen höchst soliden Beitrag zur weiteren Politikverdrossenheit der Bevölkerung – gegen die es sich scheinbar wendet.
Rhetorik hat eben doch viel mit Wahrheit zu tun (http://www.ots-blog.at/allgemein/rhetorische-kommunikation). Ich werde mir den Stimmzettel ebenfalls aufheben. Als eindrucksvolles Beispiel für schlechte öffentliche Rhetorik.
Denn dieses Schuss geht – langfristig gesehen – in die andere Richtung.