31.05.2010 | 12:19 PM | Kategorie:
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Der Krieg um die Öffentlichkeit hat erst begonnen. Virtuelle Demonstrationen – Teil 1

Virtueller Widerstand wird gerne als neu und innovativ dargestellt. Das Projekt #Unibrennt oder die Demonstrationen im Iran werden zur Untermauerung herangezogen. Doch, so neu und innovativ ist das ganze allerdings nicht, wenngleich durch die Weiterentwicklung der Social Media Plattformen vielleicht eine neue Qualität dazugekommen ist. Aber alles der Reihe nach. Woher kommt der viel beschworene virtuelle Widerstand – gibt es diesen überhaupt? Drei virtuelle Protestaktionen als Fallbeispiele aus der Vergangenheit werden jüngsten Entwicklungen gegenüber gestellt.

Ursprung des virtuellen Widerstands
Bis 1998 blieb elektronischer, ziviler Ungehorsam ein theoretisches Amusement. Aber nach dem Acteal Massaker in Chiapas verschob sich allgemein die Haltung. Der Ruf nach Beendigung des Krieges in Chiapas wurde über das Web artikuliert. Das Medium Internet wurde erstmals sowohl als Infrastruktur zur Kommunikation, als auch als Ort für direkte Aktion verwendet. 1998 rief eine Gruppe mit dem Namen Electronic Disturbance Theater erstmals dazu auf, mit Mitteln des elektronischen, zivilen Ungehorsams gegen die mexikanischen Regierung vorzugehen. (vgl. Wray, Elektronischer Ziviler Ungehorsam). Die Absicht des Electronic Disturbance Theater ist es, den politischen Protest, der in der realen Welt durch Demonstrationen auf öffentlichen Straßen und Plätzen stattfindet und eine demokratisch legitime Form im Sinne der freien Meinungsäußerung ist, auch im virtuellen Raum der Datennetze zur Geltung zu bringen (Horvath, Internet, 87). Es gelang durch simultanes und gleichzeitiges Zugreifen auf die Webseite der mexikanischen Regierung diese lahmzulegen und damit eine klare Botschaft an die Welt zu richten.

EToys
Eine neue Dimension des virtuellen Angriffs (…) stellt die Aktion Toywar dar. (Horvath, Internet, 93). Diese entstand aus folgenden Gründen: Ende November 1999 ging eToys, ein sehr großer Spielzeughändler im Internet, vor Gericht, um eine einstweilige Verfügung gegen die bekannte Schweizer Künstlergruppe etoy zu erwirken. Und er bekam Recht. Daraufhin wurde im Cyberspace wieder demonstriert. Ziel war, den Zugang zur Webseite von eToys zu erschweren und somit das Weihnachtsgeschäft zu stören, was sich auch auf den Aktienwert auswirkte. (…) Nach mehr als einem Monat des Protestierens gab eToys die Domain zurück. (Horvath, Internet, 94).
EToys war so etwas wie das Brent-Spar des E-Commerce, meint der Konstanzer Internetforscher Reinhold Grether. Das Beispiel des Electronic Disturbance Theater macht deutlich, dass Homepages nicht nur zur Informationsbereitstellung sondern auch für die Durchsetzung von politischen Interessen genutzt werden können. (Horvath, Internet, 95)

Lufthansa
Um gegen das Geschäft mit der Abschiebung zu demonstrieren, haben antirassistische Gruppen am 20. Juni 2001 die Homepage der Lufthansa blockiert. Das Ordnungsamt Köln fühlte sich nicht zuständig, und auch die Polizei war desinteressiert, als die Demonstration ihnen angekündigt wurde. Eine Online-Demonstration falle nicht unter das Versammlungsgesetz – wurde da verlautbart. (Nadir.org) Im breiten Rahmen wurden Berichte über die Demonstration im Netz geschaltet und zur Unterstützung aufgerufen. Die Online-Demonstranten erreichten auf jeden Fall einen Achtungserfolg. Sie konnten zumindest kurzzeitig den Zugang zur Lufthansa Seite blockieren, verursachten einen Stau im Lufthansanetzwerk. (http://www.terz.org/texte/texte_07_01/lausi.html)

Fallbeispiele aus der jüngsten Vergangenheit
#Unibrennt ist die erste Protestaktion in Österreich, die nicht von einem klassischen Medium getragen oder von den Mainstream-Medien abhängig war. Sie funktionierte über ihre eigenen, viele Menschen erreichenden Ausspielkanäle. Das garantierte nicht nur die Kontrolle über die eigenen Aussagen, das erlaubte auch Unabhängigkeit, was Zeitabläufe betrifft. (Martin Blumenau, fm4). Die Uni-Proteste waren bisher jedenfalls ein einmaliger Akt der Protestkultur in diesem Land. Martin Blumenau ging sogar soweit zu sagen: Ich habe dergleichen noch nicht erlebt.

Womöglich ist alles nur dem medialen Umstieg geschuldet. Wenn die alten Medien-Mächtigen es schaffen sich die neuen Medien Untertan zu machen, also ihre Funktion und ihre Nutzung bzw. Ausbeutung erlernen, dann kann das, was wir gerade erleben, eine Ausnahme bleiben. (http://fm4.orf.at/stories/1630935/)
Eines steht aber fest: Die Uni-Protest sind auch das Resultat der Instrumentalisierung neuer Netzwerkkommunikationsstrukturen.

Die Bedeutung von #Unibrennt wird im Nachhinein überbewertet. #Unibrennt war noch eine Kombination aus traditionellen und neuen Medien, die eine Öffentlichkeit herstellten. Zuerst waren es die größeren Medien die darüber berichtet haben, Social Media wirkte eher verstärkend. Anfangs twitterten nur wenige Leute, aber dadurch wurden auch wieder andere Medien auf die Sache aufmerksam, was eigentlich los ist. Der überaus erfolgreiche Livestream wurde deswegen installiert, um die Aktionen im Audimax nach außen zu kommunizieren. Wir konnten somit Negativ-Kommunikation entgegenwirken. Es gab z.B. vom Rektor die Anschuldigung, die Beschädigungen in der Uni beliefen sich auf 100.000 Euro. Andere Medien meinten, die Studenten machen nur Party und zerstören alles. Durch den Livestream konnte gezeigt werden, was wirklich passiert und dass viel gearbeitet wird, so der Initiator des Webstreams von #unibrennt im Interview mit dem neuen österreichischen Medienjournal.

Eines sollte man an dieser Stelle nicht vergessen. #Unibrennt war innovativ, ist allerdings gescheitert. Doch auch #Unibrennt war so neu nicht. Die erste Vorstufe zur vernetzten Kommunikationskampagne in Österreich war die Initiative rund um das scheissinternet.at. Der mittlerweile pensionierte Programmdirektor des ORF hat am Elevate vom scheiss Internet gesprochen. Die Initiatoren dieser Kommunikationskampagne haben auf der Seite scheissinternet.at die Kommunikation der Social Communities gesammelt und vollautomatisch zielgerichtet aufbereitet. Die Initiatoren fassen die Hintergründe von scheissinternet.at wie folgt zusammen: Das Ganze war bzw. ist nichts anderes als eine Antwort. Vor ein paar Jahren hatte man einfach einen offenen Brief geschrieben und diesen dann in einem (Print)Medium publiziert. Wesentlich effektiver sahen wir es aber an, einen offenen Brief zu gestalten, in dem jeder eine Zeile dazuschreiben kann. (Quelle: Österreichischer Medienverband)

Im nächsten Beitrag in einem Monat werde ich mich an dieser Stelle vertiefen. Im Beitrag Neue Netzwerkstrukturen überholen Medienplaner analysiere ich im Speziellen das neue der Social-Media-Netzwerke und ihre Bedeutung für die Medienlandschaft. Die Netzwerkkommunikationsstrukturen haben sich ohne Zweifel verändert.

Literatur: Constanze Horvath, Internet und Demokratie. Welche digitalen Partizipationsmöglichkeiten zur Verbesserung des demokratischen politischen Systems besitzt das Internet? (Dipl. Wien 2000)

Stefan Wray, Elektronischer Ziviler Ungehorsam und das World Wide Web des Hacktivismus Auerparlamentarische Direkte Aktion im Netz In: www.trend.infopartisan.net/trd7800/t147800.htm
Neues Österreichisches Medienjournal, http://www.medienjournal.at

31. Mai 2010, 02:26

Lieber Herr Aschauer,
offensichtlich funktionieren alte Schemata noch immer – nur weil es schon mal da war, heißt es nicht automatisch, dass sich Zielgruppen nicht mehr dafür interessieren.
Jede Generation hat ihre Medien und jede Zeit ihre Kommunikationswege.
Für #Unibrennt http://twitter.com/unibrennt war das mit Sicherheit eine sehr gute Kommunikationsstrategie um so schnell wie möglich eine breite Mit-Mach-Masse zu generieren. Zu dem Thema kann jeder was sagen. Transparenz war meines Erachtens nicht das entscheidende Argument.
Die Ölpest wird auf den Sozialen Netzwerken und Microblogging-Tools ausreichend diskutiert – verifiziert ist der Kontext aber nicht (Stichwort Zensur durch die Mineralölfirmen). d.h. man muss die Informationen aus den Netzwerken auch immer im Lichte der Wahrheit betrachten. Da sitzen keine „objektiven“ Journalisten vor den Screens, sondern Privatpersonen.
Ich bin der Meinung, dass Social Media die ideale Ergänzung zu klassischen Medien sein können – aber kein Ersatz.

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