15.03.2011 | 11:56 AM | Kategorie:
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Bei meiner Ehr

Eine Heldengeschichte. Die Agentur Jung von Matt – von der Bildzeitung mit der Durchführung ihrer Werbekampagne beauftragt – fragte die Band „Wir sind Helden“ um einen Beitrag zur aktuellen Kampagne. In dieser sagen vor allem Bild-kritische Prominente ihre „ehrliche und unentgeltliche Meinung“ zur Bildzeitung, die als Inserat und Plakat veröffentlicht wird. Geld erhalten sie dafür keines. Dafür dürfen sie den Adressaten einer 10.000,- Euro Spende bestimmen.

Bandleaderin Birgit Holofernes sagte JVM per offenem Brief ab und binnen Stunden wurde dieser viral mit solcher Intensität verbreitet, dass der Band-Server zusammenbrach. Denn der Brief berührt unsere Kommunikationsbranche recht gekonnt und empfindlich. Kernsatz der Sängerin, die auch einmal Kommunikation und Werbung studierte:

„Das Pro­blem dabei: ich hab wahr­schein­lich mit der Hälf­te von euch stu­diert, und ich weiß, dass ihr im ers­ten Se­mes­ter lernt, dass das Me­di­um die Bot­schaft ist. Oder, noch mal an­ders ge­sagt, dass es kein “Gutes im Schlech­ten” gibt. Das heißt: ich weiß, dass ihr wisst, und ich weiß, dass ihr drauf scheißt.“

Eine schnelle Übersetzung dieser nicht neuen Kritik: Kreative sollen sich nicht „missbrauchen“ lassen. Sich also mit ihrer Arbeit nicht für fragwürdige Produkte und Unternehmen prostituieren. Was man einem Bauarbeiter, Arzt, Koch oder Lokomotivführer – also praktisch allen anderen Berufen – übrigens weniger schnell vorhält. Weil diesen unterstellt wird, nicht so genau Bescheid wissen zu müssen, wofür ihre Leistungen anderen in weiterer Folge dienen.

Kommunikationsstrategen wirken dagegen unheimlich, wenn sie an den Wirkungsschrauben von Kommunikation mit bestem Wissen und scheinbar bezahltem Gewissen zu drehen beginnen.

Noch eine Zwischenbemerkung: Auch in unserer Branche selbst hadern viele mit dieser Rolle. Ausgebrannte Aussteiger begründen ihren Frust oft mit mangelnder Arbeits-Identifikation. Klar, niemand kann (und darf) für eine Marke arbeiten, deren Existenzberechtigung er nicht anerkennt. Er würde zudem einen schlechten Job machen. Aber genug davon.

Bevor ich zum wesentlichen Punkt komme, noch das dramatische, vorläufige Ende unserer Heldengeschichte:

JVM nahm die Heldenabsage respektvoll an – und schaltete sie ganzseitig in der Bildzeitung mit dem Zusatz: „Bild bedankt sich bei Judith Holofernes für ihre ehrliche und unentgeltliche Meinung”. Und um alles noch ein Stück höher zu schrauben, veröffentlicht Bild in der selben Ausgabe ein ganzseitiges taz-Interview mit Judith Holofernes (das sie Bild niemals gegeben hätte), zu dem sie als unfreiwilliges Bild-Testimonial nur mehr hilflos anmerkte: “Interessant, dass sich die taz dafür zur Verfügung stellt.“ Eine selten dichte und grandiose PR Story mit vielen wunderbaren Nebenbühnen (so wurde beispielsweise eine gefakte Hassantwort von JVM unrecherchiert von „Qualitätsmedien“ wie auch dem Standard u.a. übernommen. Nur der Horizont fragte nach …)

Was ist da alles passiert?

Unter dem Strich ist es eine Erfolgsgeschichte auf allen Seiten und für alle beteiligten Marken. Allen voran für Bild und JVM. Aber auch für „Wir sind Helden“: Ihr Brief wird in ganz Deutschland diskutiert und die Band verdrängte kurz sogar Gaddafi & Co als mächtigste Blog-Schlagzeilen.

Was nicht so funktionierte wie beabsichtigt, war die Öffentlichkeitsverweigerung für die „Bildzeitung“ und das moralische Anschütten von Zeitung und Agentur seitens der Helden. Die Schlagwucht des Angreifers wurde wie von einem erfahrenen Karatekämpfer in einen Gegenschlag umgelenkt. Die Helden fühlen sich zwar trotzdem als Sieger, doch hat die Bildzeitung von der Geschichte zweifellos mindestens so stark profitiert. Warum? Wie kann jemand profitieren, der so angeschüttet wird?

Er kann das nur, wenn die Kommunikationsstrategie stimmt. Wenn diese mit einer Kraft arbeitet, der Schmutzkübel nichts anhaben können. Was um Himmels willen kann diese Kraft im Kampf der sympathisch kritischen Helden gegen die schundige Bildzeitung sein? Es ist die Pressefreiheit.

Holofernes stolpert über diesen „guten Rahmen“ der Kampagne, der schlauerweise größer und stärker ist, als das kritisierte Produkt selbst. Denn die Bildzeitung ist nun einmal ein Kind der Pressefreiheit. Ein möglicherweise missratenes, doch das ist nun einmal das Risiko.

Es spricht für die JVM Strategen, in ihrer Kampagne auf genau dieses mächtige Gut zu setzen. Die Pressefreiheit ist zweifellos kein Verdienst der Bildzeitung, aber sie rechtfertigt und erklärt diese. Die Kampagne selbst stellt damit der Bildzeitung in Wahrheit also gar kein sehr gutes Zeugnis aus. Was dieser naturgemäß wurscht ist, weil sie keines braucht.

Und nun bin ich endlich bei dem Punkt, weshalb ich dieses Beispieldrama so treffend für unsere Branche halte, die ja vom offenen Helden-Brief stark mitgetroffen und mitgekübelt wurde. Danke allen geneigten Leserinnen und Lesern, die bis jetzt durchgehalten haben!

Denn unsere gesamte Branche der strategischen Kommunikation – also Werbung, PR, you name it … – ist ein Kind der Freiheit. Und ist als öffentlich strategische Rhetorik vor 2.500 Jahren nicht zufällig dort entstanden, wo Interessensgegensätze das erste Mal öffentlich ausgetragen wurden: in Syrakus und Athen nach dem Niedergang der Tyrannei.

Denn so nervig PR und Werbung manchmal auch sein können, sie sind der Nachweis und der Garant von Entscheidungsfreiheit in einer Gesellschaft. Und fehlen bezeichnenderweise dort, wo es diese Entscheidungsfreiheit nicht gibt: in Monopolmärkten oder Diktaturen. Bei meiner Ehr.

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